Zum überraschenden Abzug der Helfer aus Bayern

Im Namen der Stadt Dessau möchte sich die Berufsfeuerwehr Dessau bei allen Kameraden der Feuerwehr aus Bayern für ihren Einsatz nachdrücklich bedanken. Ohne die kompetente Unterstützung, die wir von auswärts erfahren haben, wären die Auswirkungen, die das Hochwasser in Dessau hinterlassen hat, weitaus dramatischer ausgefallen. Die Überflutung weiterer Stadtteile wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht abzuwenden gewesen. Insgesamt mussten im Stadtgebiet von Dessau 43 Kilometer Deichanlagen verteidigt werden. Neben der Deichverstärkung wurden aufgrund der Wasserstandsprognosen 30 Kilometer Deiche teilweise bis zu einem Meter aufgekadet. Mehrere Kilometer Deich und Zugangsstraßen wurden zur Verteidigung neu gebaut. Ca.15 Millionen Sandsäcke, mehrere 10 000 Tonnen Sand, Kies, Schotter und Flussbausteine, Tausende Quadratmeter Folien und vieles mehr wurden verbaut. Zeitweise waren bis zu 10 000 Hilfskräfte von Feuerwehr, THW, Polizei, Bundesgrenzschutz, Bundeswehr, JUH, DRK, aus der Bevölkerung und vieler anderer Organisationen im Einsatz. Noch nie hatte ein Einsatz in Sachsen-Anhalt diese Größenordnung angenommen. Nach dem Dammbruch am 18.08. gegen 11.15 Uhr wurde der Ortsteil Waldersee überflutet. Betroffen waren 2856 Menschen in 1013 Wohngebäude, wobei in ca. 880 Häusern das Wasser im Wohnbereich stand. Durch das eindringende Wasser wurden in vielen Kellern die Heizöltanks zerstört. In dem Ortsteil bildeten sich riesige Ölteppiche, die durch die Straßen trieben. In einem mehrere Tage andauernden Einsatz konnten durch die Feuerwehr in Zusammenarbeit mit Entsorgungsunternehmen ca. 260.000 Liter Öl aus dem Wasser separiert werden. Auch dieser Einsatz dürfte von seiner Größenordnung in den neuen Bundesländern seines gleichen suchen. Besonderer Dank geht an dieser Stelle an alle Feuerwehren, die an der Ölbeseitigung beteiligt waren. Insbesondere möchten wir an dieser Stelle die BF Ludwigshafen und die Feuerwehren aus dem Landkreis Nordheim sowie die FF Regenstauf für ihre hervorragende Arbeit erwähnen. Wir haben diese Zeilen vorangestellt, um einen gewissen Überblick über das Ausmaß dieses Einsatzes vermitteln zu können. Auf das, was erreicht wurde - die Überflutung einer Stadt zu verhindern, Deiche zu halten, die von Experten aufgrund des enormen Wasserdrucks als nicht verteidigbar galten (diese Einschätzung betraf 80% der Deichfläche von Dessau), Schäden in Milliardenhöhe verhindert zu haben (Ortsteil Waldersee 135.Mill Euro vorläufige Schadenssumme), können alle Beteiligten stolz sein. Sicher gibt es in der Nachbetrachtung Schwachstellen, die tiefgründig ausgewertet müssen. Realistisch ist aber auch, dass bei einem derartigen Großeinsatz mit so vielen unterschiedlichen Organisationen, Einheiten, Unterstellungsverhältnissen, vielen örtlich getrennten Einsatzstellen immer wieder Kommunikationsprobleme auftreten werden. Das ist bei weitem nicht befriedigend, aber schwerlich auszuschließen. In diesem Zusammenhang müssen wir eindeutig erklären, dass der Rückzugsbefehl für die bayrischen Einsatzkräfte die Stadt Dessau mit ihrem Katastrophenschutzstab genauso überraschend traf wie die bayrischen Feuerwehreinheiten. Diese Maßnahme war zu keinen Zeitpunkt mit einem Vertreter der Stadt Dessau abgestimmt. Am 16. 08.02 trafen nachmittags die Feuerwehreinheiten aus Bayern in der Stadt Dessau ein. Bis zu diesem Zeitpunkt verfügte die Stadt Dessau über keine Information vom Regierungspräsidium Dessau, was die tatsächliche Stärke der zur Verfügung gestellten Feuerwehreinheiten betrifft. Nach dem sich der Verbindungsmann von der Berufsfeuerwehr München beim Stab der Stadt Dessau meldete, wurde mit ihm der Verfahrensweg des Kräfteeinsatzes in Dessau abgestimmt. Dem bayrischen Feuerwehrkontingent wurden Einsatzabschnitte zugewiesen, in denen sie selbstständig den Kräfteeinsatz, einschließlich des Kräfteaustausches, regeln sollten. Es wurden der Stadt Dessau keine Einheiten gemeldet die nicht für einen Einsatz durch die bayrische Einsatzleitung vorgesehen waren. Es ist davon auszugehen, dass in den zugewiesenen Einsatzbereichen die Feuerwehren in ihrer Gesamtstärke zum Einsatz gebracht wurden. Am Abend des 19. Augusts, gegen 21.45 Uhr, erschien der Leiter des bayrischen Kontingentes mit seiner Ablösung im Katastrophenschutzstab der Stadt Dessau und berichtete, dass die eigenen Kräfte mit dem Rückzug aus den Einsatzstellen begonnen haben, da ein Abmarschbefehl vorliege. Auf Nachfrage des Katastrophenschutzstabes der Stadt Dessau erklärten die beiden bayrischen Vertreter, dass in ihrem Ministerium ein Fax des Innenministeriums des Landes Sachsen Anhalt vorliegt, in dem mitgeteilt wird, dass die Einsatzkräfte nicht mehr benötigt werden. Daraufhin sei der Abmarschbefehl erteilt wurden. Von dieser Aussage völlig überrascht, wurden die Vertreter des Regierungspräsidiums Dessau, die sich zu diesem Zeitpunkt im Stab der Stadt Dessau aufhielten, mit der Aussage konfrontiert und aufgefordert eine sofortige Klärung herbeizuführen. Gegen 22.05 Uhr teilte ein Mitarbeiter des Katastrophenschutzstabes des Regierungspräsidiums Dessau mit, dass ihm lediglich Informationen vorliegen, das 1000 Einsatzkräfte bis zum 20. August, und weitere 1000 Einsatzkräfte in den nächsten Tagen abgezogen werden sollten. Diese Entscheidung habe der zuständige Staatssekretär im Innenministerium des Landes Sachsen-Anhalt getroffen. Nach der für die Stadt Dessau unverständlichen und nicht abgestimmten Freigabe der bayrischen Feuerwehrkräfte wurden die beiden Vertreter der bayrischen Feuerwehren gebeten zu prüfen, welche Einheiten freiwillig in Dessau verbleiben könnten. Gleichzeitig wurde eine Kräfteanforderung an das Ministerium des Innern des Landes Sachsen-Anhalt über das Regierungspräsidium Dessau gegen 22.15 Uhr gefaxt, um den Kräfteabzug zu stoppen. Da zwischenzeitlich das Anforderungsverfahren für überörtliche Kräfte vom Katastrophenstab des Regierungspräsidiums Dessau an die Polizeidirektion Dessau übergegangen war, wurden auch dort die bayrischen Einsatzkräfte erneut angefordert. Gegen 05.20 Uhr erhielt die Stadt Dessau eine Bestätigung über den Teilverbleib von bayrischen Einsatzkräften. Für die Stadt Dessau ist es bis heute nicht verständlich und nachvollziehbar, wie es zu dieser Entscheidung kam. Abschließend möchten wir uns noch einmal für die erhaltene Hilfe bei allen bedanken und hoffen, dass derartige bedauerliche Pannen zu keinem Abbruch in der Bereitschaft zur gegenseitigen Hilfe führen. Wir haben eine beispiellose Unterstützung erfahren, von der wir nur hoffen, dass sie auch anderen, die in ähnliche Situationen geraten, genauso schnell und selbstlos erteilt wird wie uns.

In diesem Sinn
mit kameradschaftlichem Gruß,
die Berufsfeuerwehr der Stadt Dessau

Veröffentlicht am 16. Oktober 2002
durch die Pressestelle der Stadtverwaltung Dessau
pressestelle@dessau.de

Zeitungsartikel Mitteldeutsche Zeitung